Boxermotoren gelten als Exoten im Motorenbau. Konstruktionsbedingt weisen sie einige Vorteile auf. Dazu zählen eine besondere Laufruhe, eine hohes Drehvermögen und beste Voraussetzungen für die Abgasnachbehandlung. Auch für Mild- und Vollhybridsysteme ist der Boxer gut geeignet.
Im Motorenbau entsteht aus der Abwägung von Vor- und Nachteilen oftmals eine Art „Weltanschauung“, die das Image der jeweiligen Automarke entscheidend prägt. Dies gilt insbesondere für den Boxermotor. Bekanntestes Beispiel für das hartnäckige Festhalten an dieser technologischen Monokultur ist zweifellos der Volkswagen Käfer, der von 1945 bis 2003 mehr als 21,5 Millionen Mal vom Band rollte. Porsche und Subaru stehen auch heute noch für den Boxer.
Seinen Namen erhielt der Boxermotor aufgrund seines Funktionsprinzips: Die im flach liegenden Motor sich nach rechts und links bewegenden Kolben erinnern entfernt an die Fäuste eines Boxers. Erfunden hat den Boxermotor vor 125 Jahren der Autopionier Carl Benz (1844 – 1929), der 1897 den von ihm konstruierten sogenannten Kontramotor in sein Modell „Dos-à-dos“ einbaute. Das Triebwerk mit zwei gegenüberliegenden Zylindern holte aus 1,7 Litern Hubraum anfangs 5 PS (3,7 kW), später aus 2,7 Litern 9 PS (6,6 kW), was die Höchstgeschwindigkeit von 25 auf 50 km/h verdoppelte. 1902 erreichten die letzten gebauten Kontramotoren 16 PS (11,7 kW).
Konstruktionsbedingte Vorzüge
Die konzeptbedingten Vorzüge des Boxers im Vergleich zu konventionellen Reihen- oder V-Motoren sind bis heute gleich geblieben: Die um 180 Grad versetzten und zu beiden Seiten der Kurbelwelle flach liegenden Zylinder sorgen für einen vollständigen Ausgleich der auftretenden Massenkräfte und damit für ruhigen, vibrationsarmen Motorlauf und höheres Drehvermögen. Hinzu kommen kurze Baulänge, geringe Höhe und niedriger Schwerpunkt.
Bis zum Zweiten Weltkrieg setzten vor allem zahlreiche Motorradhersteller auf dieses Bauprinzip, beispielsweise Puch (Österreich), Itar (Tschechien), Mars, Maurer sowie vor allem BMW und Zündapp in Deutschland. Nach dem Krieg bauten neben Volkswagen auch immer mehr internationale Autohersteller Boxermotoren, in den USA beispielsweise der glücklose Visionär Preston Thomas Tucker 1946 in seinen avantgardistischen „Torpedo“ (Sechszylinder-Boxermotor mit 150 PS /110 kW aus 9,6 Litern Hubraum), in Österreich die Fiat 500-Ableger Steyr-Puch 500 und 650 TR mit selbstentwickelten, leistungsstarken Zweizylinder-Boxern, in Deutschland die BMW-Kleinwagen 600 und 700 oder Goliath / Hansa 1100 und Lloyd Arabella aus dem Borgward-Konzern, in Frankreich Citroen in den Typen 2 CV („Ente“), Ami 6 und GS, in Italien Alfasud, Alfa 33 und Alfa 145 sowie Lancia Flavia und Gamma. Den bislang ultimativen Boxer offerierte von 2016 bis 2018 die Manufaktur „W Motors“ aus Dubai in ihrem ultraschnellen Coupé Fenyr Super Sport: einen Sechszylinder in Mittelmotoranordnung mit vier Litern Hubraum und 913 PS (671 kW), der 400 km/h Spitze erreichte.
Bis zu 700 PS im Porsche 911
Bei Porsche zählen Boxermotoren seit mehr als sieben Jahrzehnten zum Markenkern. Schon der allererste Porsche 356 von 1948 wurde von einem leistungsgesteigerten Vierzylinder-Boxer (1131 cm³, 35 PS/26 kW) aus dem Volkswagen Käfer angetrieben. 1964 löste der Porsche 911 mit seinem Sechszylinder-Boxer aus Leichtmetall die Baureihe 356 ab. Heute tut noch immer ein solches Triebwerk Dienst im Heck des „Elfer“, inzwischen auf bis zu 700 PS (515 kW) erstarkt. Auch in den 718-Modellen Cayman und Boxster sorgen Boxeraggregate mit vier oder sechs Zylindern für Vortrieb.
Weniger bekannt sein dürfte, dass Porsche von 1983 bis 1990 den vom 911-Triebwerk abgeleiteten Sechszylinder-Boxer auch als Flugmotor PFM 3200 für Propellermaschinen gebaut hat. Und gegen Ende des Zweiten Weltkriegs diente ein von den Victoria-Werken in Nürnberg produzierter kleiner Zweizylinder-Zweitaktboxer (270 cm3, 10,5 PS/ 8 kW) als Anlasser für die ersten deutschen Strahltriebwerke von Junkers und BMW.
„Kein anderes Motorenkonzept ist so stark mit Porsche verwurzelt wie der Boxermotor“, sagt Thomas Wasserbäch, Leiter Entwicklung Boxermotoren in Weissach. „Die Bauart als Kurzhuber bietet optimale Voraussetzungen für hohes Drehvermögen. Durch die boxertypische Kurbelwellenlagerung mit jeweils zwei Hauptlagern pro Pleuel ergibt sich zum einen ein sehr steifer Kurbeltrieb für hohe Zylinderleistungen und Hochdrehzahltauglichkeit, zum anderen ein großer Zylinderabstand, der große Bohrungsdurchmesser und damit sehr gute Ladungswechselverhältnisse ermöglicht. Die kurzen Abgaswege bringen beste Voraussetzungen für die Abgasnachbehandlung mit. Zum einen fördern sie die erwünschte schnelle Aufheizung der Katalysatoren nach dem Kaltstart, zum anderen bieten sie die Möglichkeit, unterschiedliche Katalysatordimensionen und zusätzliche Sensorik unterzubringen, was die Einhaltung verschärfter künftiger Grenzwerte erleichtert.“
Auch für eine Hybridisierung bieten Boxermotoren laut Wasserbäch gute Chancen: „Ebenso wie bei Reihen- oder V-Motoren ist bei ihnen die Baulänge der entscheidende Faktor zur Fahrzeugintegration. Nach gängiger Praxis muss die Hybridscheibe zum elektrischen Fahren zwischen Motor und Getriebe platziert werden, um entsprechenden Bauraum zu ermöglichen. Möglich sind auch Mildhybridisierungen, beispielsweise durch Installation eines riemenbetriebenen Startergenerators.“
Erster Boxer-Dieselmotor von Subaru
Zu den Boxer-Pionieren zählt bis heute auch der japanische Allradspezialist Subaru. Den Anfang machte im Mai 1966 der kleine Subaru 1000 mit einem 54 PS (40 kW) starken Vierzylinder-Boxer. Spätere Meilensteine waren der weltweit erste Boxer-Dieselmotor (2008), das Hybridmodell Subaru VIZIV von 2013 mit Turbodiesel-Boxer in Kombination mit drei Elektromotoren oder der nur auf dem US-Markt vertriebene Plug-in-Hybrid Crosstrek, in dem ein Zweiliter-Benzin-Boxer in Kombination mit einem Elektromotor eine System-leistung von 160 PS (118 kW) liefert.
Die seit mehr als einem halben Jahrhundert anhaltende Vorliebe für diese Motorenbauart könnte möglicherweise mit dem sprichwörtlichen Harmoniebedürfnis der Japaner zusammenhängen. „Das Boxer-Konzept verkörpert die harmonischste Form aller Verbrennungsmaschinen“, sagt Jörg Kracke, Technikexperte bei Subaru Deutschland. „Mit seiner vollkommen symmetrischen Bauweise und den sich paarweise gegenüberliegenden Kolben, die sich wie die Arme eines Boxers horizontal bewegen, werden die Massenkräfte perfekt ausbalanciert, was zu hervorragender Laufruhe und Vibrationsarmut führt. Boxertriebwerke drehen geschmeidig und gleichmäßig bis zur Nenndrehzahl hoch und benötigen keine Ausgleichswellen oder Ausgleichsgewichte an den Kurbelwangen. Dadurch lässt sich Gewicht und Bauraum einsparen. Wegen der im Vergleich zu Reihenmotoren deutlich kürzeren Kurbelwelle muss diese nur dreifach statt fünffach gelagert werden. Zudem sind Boxermotoren robuster und langlebiger als andere Verbrenner.“
Wo Licht ist, ist freilich auch Schatten. Neben konstruktionsspezifischen Vorzügen weisen Boxermotoren einige arttypische Nachteile auf. So benötigt beispielsweise der breite Motor mehr Platz und kann nicht quer eingebaut werden. Seine Herstellung ist aufwendiger und teurer, weil er aus mehr Teilen besteht, zum Beispiel zwei Zylinderköpfen. Schon aus Kostengründen könnte daher das Weiterleben des Boxers in Frage stehen.
Bei Subaru gibt man sich dennoch optimistisch. „Nach diversen Entwicklungsstadien – vom klassischen Sauger über den Common-Rail-Diesel bis zum aufgeladenen Hochleistungstriebwerk – wird unser Unternehmen den Boxer auch weiterhin bauen, so lange die gesetzlichen Vorschriften in den einzelnen Märkten dies zulassen“, so Technikexperte Jörg Stracke. „Wachsende Bedeutung wird diesem Antriebskonzept künftig in Kombination mit Mild- und Vollhybriden zukommen.“ Hans W. Mayer
Quelle: AMZ